Moderne Geschichte

Kriegskünste nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden alle Kampfkünste in Japan von den Amerikanern verboten. Doch das Ninjutsu überlebte. Die Lehren der Ninja wurden im Geheimen von einer kleinen Gruppe von unauffälligen, interessierten Männern weitergereicht. Viele der Ryū starben aus, weil der letzte Großmeister keine Nachkommen mehr hatte, die seine Tradition weiterreichen konnten. Deshalb vernichteten viele vor ihrem Tod die alten Schriftrollen und Manuskripte.

Aufgrund der ruhigen Zeiten waren viele Kampfkünste einer Wandlung unterworfen. Viele Kampfkünste wurden vergeistigt, und aus jutsu (Kunst) wurde (Weg, Pfad, Grundsatz).

Ishitani Takakage Matsutaro

Doch nicht alle Meister akzeptierten diesen Wandel. Einige sehnten sich zurück zu den Zeiten, als noch echte Kampfkünste unterrichtet worden wurden.

Einer dieser Meister war Ishitani Takakage Matsutaro, ein chūnin Ninja vom Clan der Iga-Ryū. Er war der 26. Großmeister der Kukishinden-Ryū-happohiken. Er setzte sich dieser Neuerung entgegen und verachtete die Degradierung der Künste zum Sport oder zu Zen-Bewegungen.

Resigniert und niedergeschlagen, ohne Schüler und ohne Dōjō wollte der Meister den Rest seines Lebens in Anachronismus verbringen. Er überlegte, ob er nicht seine geheimen Schriftrollen und Waffen zerstören sollte bevor er starb, damit die Techniken nicht in die falschen Hände gerieten.

Weil Ishitani Verborgenheit suchte, nahm er eine Nachtwächterarbeit in der Zündholzfabrik der Familie Takamatsu in Kobe. Er begegnete dem jungen Sohn der Familie, Takamatsu Toshitsugu. Auf Umwegen erfuhr er, dass dieser junge Mann Schüler der Koto-Ryū-koppojutsu und der Shinden-fudo-Ryū-daken taijutsu war. Takamatsu hatte diese Kunst von seinem Großvater Toda Shinryuken Masamitsu erlernt.

Ishitani trainiert Takamatsu

Ishitani bot diesem jungen Mann an, ihn in die Geheimnisse der Shinden-Ryū einzuweihen. Begeistert nahm Takamatsu dieses Angebot an und studierte nun unter seinem neuen Meister Shinden-Ryū.

Ishitani zeigte ihm zuerst die acht Teile der happo-Methode. Als nächstes brachte er seinem Schüler die hiken-Methode bei, geheime Schwerttechniken. Trainiert wird mit dem Schwert, dem kurzen Schwert und der jutte.

Toshitsugu trainierte hart und wurde nach dem Tode seines Lehrers der 27. Großmeister der Kukishinden-Ryū.

Toda Shinryuken Masamitsu

Während dieser Zeit wurde Takamatsu auch von seinem Großmeister Toda Shindenryuken Masamitsu, 32. Großmeister der Togakure-Ryū, in dieser Kunst unterrichtet. Toda war zu dieser Zeit Schwertlehrer der Tokugawa-Regierung und unterrichtete die Samurai des Shōgun in der Kunst des Schwertfechtens.

Da er im Alter von 21 Jahren wegen eines zerrissenen Trommelfelles – eine Verletzung aus einem der zahllosen Kämpfe in seiner Jugendzeit – als untauglich für den Militärdienst befunden wurde, beschloss Takamatsu nach China zu gehen.

Takamatsu Toshitsugu geht nach China

Der Gedanke an eine Karriere in der Streichholzfabrik verblasste angesichts der Abenteuer, die ihn in China erwarteten. Er glaubte China biete ihm bessere Möglichkeiten als Japan, das sich gerade im Umbruch befand. Er durchquerte China und fand zahlreiche Gelegenheiten, seine Kampfkünste in der Realität gegen die verschiedensten Gegner anzuwenden und schützte damit oft sein Leben.

Die chinesischen Boxer mit denen er trainierte gaben ihm den Beinamen Mongolischer Tiger.

Nach diesen Wanderjahren kehrte er in sein Heimatland Japan zurück, um dort in den Bergen zu leben. Er suchte die Einsamkeit dieser Berge, um sich zu vervollständigen und um mit 30 Jahren auf dem Berg Hiei in der Nähe von Kyōto ein mikkyō-Priester der Tendai zu werden. Er drang mit diesem Wissen tiefer in die Philosophie der Ninja und deren esoterische Geheimnisse ein. So gewappnet trat er nun endgültig den Heimweg an, um schließlich 33. Großmeister der Togakure-Ryū-Ninjutsu zu werden.

Hatsumi Masaaki

Hatsumi Masaaki begann sein Kampftraining im Alter von sieben Jahren. Zuerst übte er mit dem bokutō seines Vaters, dann versuchte er sich während des Zweiten Weltkrieges in allen populären japanischen Kampfkünsten und brachte es zu Meistergraden in Karate, Aikidō und Judō. Die Kriegskünste und das Theater waren seine Hauptinteressen. Nach dem zweiten Weltkrieg musste er jedoch mit Entsetzten feststellen, wie schnell und begierig die amerikanischen Besatzungstruppen die verschiedenen Judō-Techniken erlernten. Die Amerikaner gebrauchten ihre stattliche Körpergröße und ihre natürlichen athletischen Veranlagungen, um in Monaten zu erlernen, wozu Japaner Jahre brauchten. Er fragte sich, welchen Sinn das Training eines Systems hat, dessen Ergebnisse andere allein mit Hilfe ihrer Körperkräfte übertreffen konnten. Irgendwo musste es doch eine wahre Kampfart geben, die einem die Kraft gab, aus allen Situationen siegreich hervorzugehen, dachte Hatsumi.

Takamatsu trainiert Hatsumi

Sein kobudō-Trainer berichtete ihm schließlich von einem Lehrer namens Takamatsu Toshitsugu aus der Stadt Kashiwabara im Westen der Iga-Gegend. In der Hoffnung, endlich einen Meister zu finden, der ihm eine lebendige Kriegskunst beibringen konnte und nicht eine Sportart zur körperlichen Ertüchtigung oder ein starres System lebloser kata, wanderte der junge Hatsumi quer über die Honshū-Insel, um den Lehrer aufzusuchen, nach dem er bis zu diesem Zeitpunkt vergeblich Ausschau gehalten hatte.

Takamatsu, der kampferprobte Veteran, hatte schon längst die Sechzig überschritten, als er zum ersten Mal den jungen Mann, traf, der zu seinem geistigen Nachfolger und nächster Ninjutsu-Großmeister werden sollte.

Jahrelang quälte sich Hatsumi Masaaki durch das harte Training unter der Leitung des Ninja-Großmeisters mit dem gütigen Herzen und den Händen eines Tigers. Schließlich erbte er den Titel des Großmeister der neun Ninjutsu-Ryū, die sein Lehrer Takamatsu Toshitsugu verkörperte.


Text: Stefan Imhoff