Erleuchtung

Der Pfad zur Wahrheit

Obwohl wir nicht mehr sind als ein kurzer Funken im ewigen Lauf des Universums, hat jeder von uns einen Teil einer größeren Wahrheit zu erkennen und zu bewältigen. Das heißt keineswegs, dass jeder Mensch zu der gleichen Einsicht gelangen muss. Jeder von uns hat eine andere Frage und eine Antwort wird keineswegs bei allen die gleiche Zufriedenheit hervorrufen.

Man kann zahllose Wege einschlagen, und auf jedem ist es möglich Satori (Erleuchtung) und Einsicht zu erlangen. Der eine mag den Weg des Wissens einschlagen und vielleicht Wissenschaftler werden, ein anderer den Weg des Heilens und wird Arzt oder Pfleger, ein dritter wählt den Weg des Herrschens und wird Politiker oder gründet eine eigene Firma. Oder man könnte auch den Weg des Dieners einschlagen oder den Weg des Händlers.

Es gibt zahlreiche weitere Wege, dies ist nur eine kleine Auswahl die man treffen kann. Und es gibt den Weg des Kriegers, den wir bujin als unseren Weg eingeschlagen haben.

Die Wahl des Pfades

Der erste und schwerste Schritt auf dem Weg des Lebens besteht darin den für uns geeigneten Weg zu finden und zu betreten. Früher war es üblich den Weg einzuschlagen, den die Geburt einem vorbestimmt hatte. Doch heute hat man die Freiheit seinen Weg zu wählen. Diese Freiheit kann aber auch Verwirren, und die Anzahl der möglichen Wege kann eine Person verwirren. Einige entdecken ihren Weg schon in der Jugend und folgen ihm unbeirrt bis zum Tod. Andere entdecken ihren Weg erst später, einige entdecken den richtigen Weg niemals. Andere wechseln mehrmals ihren Weg, bis sie die Erfüllung gefunden haben.

Jeder von uns mag vielleicht eine andere Antwort auf seinem Weg finden doch eines ist allen Wegen gemein: Sie dienen nur als Mittel zum Zweck und dürfen niemals zum Selbstzweck werden.

Der Pfad des Kriegers

Diejenigen, die den Pfad des Kriegers gewählt haben, kommen vielleicht zu der Einsicht, das jeder Konflikt sinnlos ist und sie arbeiten an ihrer Kraft und Unverwundbarkeit, die einem die Freiheit geben Liebe und Großmut zu wählen.

In vielen Fällen wird ein Krieger auf dem Weg zur Erleuchtung zu einem bestimmten Zeitpunkt auf eine Irrfahrt – musha shūgyō – aufbrechen. Diese Irrfahrt beraubt den Krieger seiner Heimat, der Bequemlichkeit, eines geordneten Tagesablaufes, Freunden, der Familie oder der Muttersprache. Der Ninja muss anpassungsfähig und einfallsreich sein, um diese Situation zu bewältigen.

Verschiedene Faktoren erschweren es dem Krieger, den Weg zur Erleuchtung zu betreten und ihm zu folgen. Am meisten hindert uns, dass man auf dem Weg des Kriegers ausschließlich in einem Aspekt der Existenz eintauchen muss und diesem Pfad jeden Tag seines Lebens mit ganzem Eifer folgen muss.

Eine Person, die Kampfsport als Hobby betreibt, folgt keineswegs dem Pfad des Kriegers. Der Pfad des Kriegers ist eine immerwährende, lebenslängliche, alles konsumierende Verpflichtung, der man ohne Abweichung folgen muss.

Was also ist Erleuchtung?

Das Wort Erleuchtung ist schnell zur Hand und dennoch nicht leicht zu definieren. Doch kann man Erleuchtung nicht in Worte fassen, doch wenn sie in einem zu erblühen beginnt, so wird er es von selber erkennen.

Der Schlüssel zur Erleuchtung liegt im Gehenlassen des ehrgeizigen Strebens nach Anerkennung und im Sich-selbst-verlieren in einer alles umfassenden Aktivität oder Situation.

Erleuchtung muss nicht schlagartig stattfinden, in den wenigsten Fällen passiert dies plötzlich. Vielmehr kann Erleuchtung langsam Wachsen. Dieses Gefühl der Selbstlosigkeit kann durch eine glorreiche Umgebung, durch ein bedeutungsvolles Ereignis oder durch das Abstreifen aller Zwänge erreicht werden.

In diesem Moment der Wahrheit verspürt man Ehrfurcht, Freude, totales Einssein und Lebenskraft.

Ein solches Ereignis bringt ein anderes Denken mit sich, und daraus entstehen andere Einsichten, die unsere Lebens- und Handlungsweisen grundlegend Verändern können. Alle bedrückende Schwere kann aus unserem Leben verschwinden.

Erleuchtung bedeutet für den Krieger die Erkenntnis, dass alles nur eine Illusion ist und das jedes Ding oder jede Situation, ganz gleich wie gut oder schlecht sie bewertet wird vom Universum als richtig und angepasst angesehen wird.

Herbeiführung von Erleuchtung

Eine Methode zur Herbeiführung von Erleuchtung ist sich allen begrenzenden Bindungen zu entziehen. Diese Bindungen kann man symbolisch als Name, Elemente und Leere bezeichnen.

Der erste Einfluss, der Name beinhaltet alles, was man bis zu diesem Zeitpunkt getan hat, oder was einem angetan wurde. Alle Dinge, bei denen man sich machtlos gefühlt hat. Alles Körperliche, Soziale, Familiäre und Genetische, das man seit seiner Geburt mit sich herumgeschleppt hat. Aber auch alle Talente und Fähigkeiten, die man sich im Laufe der Zeit angeeignet hat, ja der gesamte Körper und alle Neigungen gehören zu dieser Kategorie.

Sich diesen Elementen zu entledigen bedeutet jede Schwäche zu beseitigen, mit der man dachte, Leben zu müssen. Es bedeutet, alle Ausflüchte und selbstbegrenzenden Gewohnheiten aufzugeben, die man normalerweise aus Bequemlichkeit benutzte zu beseitigen. Ich bin halt dick, bei mir wachsen keine Muskeln, ich lerne das sowieso nie etc. gibt es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr.

Das ist weitaus schwieriger, als es auf den ersten Blick scheint.

Der zweite Einfluss, die Elemente beinhaltet die Art und Weise, mit der man auf Zwischenfälle reagiert. Dazu zählt man auch Freunde und Feinde, Stärken und Schwächen, die man im Laufe der Zeit erlangt hat. Auch alle kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Einflüsse gehören in diese Kategorie.

Diese Elemente zu beseitigen bedeutet, alle Standardmethoden, Vorurteile, Ideale und blockierende Meinungen über den Haufen zu werfen. Man muss also sein bisheriges Lebensverständnis überdenken. Das ist sehr schwierig und bedarf einer großen Geduld und Ausdauer.

Der dritte Einfluss, mit dem man abrechnen muss ist die Leere. Dieser Einfluss beinhaltet das eigene Potential und die eigene Kraft, um sein eigenes Leben zu formen und zu bestimmen. Man muss das sinnlose Vorhaben aufgeben, alle Handlungen, Pläne und Wechselwirkung auf rein vernunftmäßige und mechanische Prinzipien zu gründen.

Man muss die kosmischen Zeichen deuten können, sonst wird man ein Leben lang einen hoffnungslosen Kampf führen. Man kann aber auch in eine totale Hilflosigkeit verfallen, weil man sein ganzes Leben lang auf einen Deut vom Himmel, auf helfende Geister wartet, die einen erretten.

Man kann noch so viele Bücher oder Lebenshilfen lesen, wenn man sein Ziel nicht im tiefsten Inneren verwurzelt, dann ist eine Erleuchtung nicht zu erreichen.


Text: Stefan Imhoff