Tenchijin

Ten- oder Himmelsprinzipien

Diese Prinzipien erschaffen um den Ninja herum eine veränderte Welt, indem die Umgebung verändert wird. Das Gleichgewicht zwischen in und wird so verlagert, dass der Ninja der Selbe bleiben kann, seine Umwelt sich jedoch verändern muss.

Wird der Einfluss von auf die Umwelt erhöht, so bedeutet das, dass die Verwundbarkeit des Gegners erhöht wird. So kann man z. B. dafür sorgen, dass der Gegner auf einen Kampf brennt, auch wenn es besser wäre, wenn er sich ausruhen würde. Der Ninja kann auch dafür sorgen, dass der Gegner in Bewegung bleibt, auch wenn er sich besser ausruhen sollte. Oder man veranlasst den Gegner eine gute Stellung von Selber aufzugeben.

Wenn der Einfluss von in auf die Umwelt erhöht, so lässt man den Gegner warten, wenn er auf einen Kampf brennt, denn nichts ist frustrierender, als aufschäumende Energien zu unterdrücken und zu warten. Oder man lässt sie über die Richtigkeit von Informationen im Unklaren, lockt sie in enge Gänge oder Zimmer, wo sie ihre Übermacht nicht voll entfalten können.

Gojō goyoku

Um andere Personen zu Beeinflussen wendete der Ninja die Taktik des gojō goyoku an. Dabei wird der Gegner geschwächt und manipuliert durch seine eigenen Schwächen und Fehler.

  • Beim Prinzip des kisha wird der Gegner durch seine eigene Eitelkeit zu Fall gebracht. Es wird ihm geschmeichelt und er wird gelobt.
  • Beim Prinzip des do sha wird sein Jähzorn und seine Unbeherrschbarkeit ausgenutzt. Man veranlasst ihn dazu unüberlegte, dumme Handlungen zu tun.
  • Wird das Prinzip des aisha angewendet, so wird die Großherzigkeit und Sentimentalität des Gegners ausgenutzt. Man sorgt dafür das er Mitleid hat oder Bedauern empfindet.
  • Bei rakusha wird die Faulheit und Trägheit des Gegners ausgenutzt. Man bietet ihm Geld oder Luxusgüter, Frauen oder Bequemlichkeit an und bringt ihn so zu Fall.
  • Das Prinzip kyōsha nutzt die Feigheit und Angst eines Gegners. Man droht ihm, schüchtert ihn ein, erpresst ihn und hält ihn so unter Kontrolle.

Doch funktionieren diese Taktiken nur eine begrenzte Zeit lang, irgendwann nutzt sich jede Taktik ab. Deshalb muss man im langfristigen Zusammenhang genau abwägen, ob die Anwendung von gojō goyoku von Nutzen ist.

Eine weitere Möglichkeit der Beeinflussung anderer Personen besteht darin, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu stillen. Es gibt fünf große Bedürfnisse, denen jeder Mensch unterlegen ist. Natürlich gibt es weitere, doch die meisten passen in eine der fünf Kategorien:

Sicherheit

Indem der Ninja Verfolgten Personen Schutz und Nahrung bietet macht er sie von sich abhängig und gewinnt die Kontrolle über sie. Ideale und politische Überzeugung schwinden, wenn die Grundlagen des Überlebens nicht gesichert sind.

Sex

Fast jeder Mensch ist abhängig von der Erfüllung seiner sexuellen Wünsche. Vor allem Männer sind hier sehr leicht anfällig und deshalb leicht zu kontrollieren. Wenn noch Liebe mit dazu kommt, dann bleiben Vorsicht und Vernunft auf der Strecke.

Wohlstand

Jeder Mensch hat seinen Preis. Jeder Mensch ist auf der Jagd nach einem gewissen Maß von Wohlstand, was ihm wiederum meist auch die anderen Bedürfnisse erfüllt. Mit dem richtigen Maß an Bestechung, kann man jeden Menschen beeinflussen und kontrollieren und sich so seine zeitweilige Loyalität sichern.

Stolz

Jeder Mensch braucht das Gefühl der Anerkennung für Leistungen und daraus resultiert Stolz. Wenn ein Ninja einen anderen scheinbar erhebt und ihn mit Stolz überschüttet, so wird dieser Abhängig und Anfällig für Manipulation und Kontrolle.

Vergnügen

Die meisten Menschen brauchen Vergnügen, Freude und Zerstreuung. Nicht umsonst haben Fernsehen, Spiele und Veranstaltungen immer eine rege Nachfrage. Wenn ein Ninja einer Person Vergnügen beschafft, so wird diese Person von ihm abhängig und ist leicht zu kontrollieren.

Chi- oder Erdeprinzipien

Diese Prinzipien schaffen eine veränderte Bedingungen, indem sich der Ninja verändert, die Umwelt aber gleich bleibt.

Wenn er den Einfluss von auf sich selber erhöht, so stellt er günstigere Bedingungen für sich her. Ist der Gegner stärker oder besser, so übt er und verbessert sich, bis er ihn übertrumpfen kann. Wenn der Gegner über mehr Informationen verfügt, so sammelt er seinerseits weitere Informationen. Sind die Truppen des Gegners in der Überzahl, so verstärkt er seinerseits seine Reihen.

Wird der Einfluss von in auf den Ninja erhöht, so wird eine Gefährdung herabgesetzt. Wird der Ninja verfolgt, so lässt er sich in den Rücken des Feindes zurückfallen. Stürzt er in einen reißenden Strom, so kämpft er nicht gegen die Fluten an, sondern lässt sich einfach Stromabwärts treiben. Wird er als Agent enttarnt, so bietet er seine Dienste dem Gegner an. Der Ninja vermeidet eine vorschnelle Beurteilung einer Situation und versucht neutral zu bewerten. Wenn uns ein Mörder in einem dunklen Haus auflauert, so stellt man sich vor, wie er in der Dunkelheit wartet, die Waffe gezückt, genau wissend, wo man selber ist. Verändert man den Standpunkt der Betrachtung, so kommt uns der Mörder plötzlich klein und verlassen vor. Er wartet in einem dunklen Haus, nicht wissend, ob wir es überhaupt betreten, welchen Weg wir einschlagen, oder was für eine Bewaffnung wir haben. Er fühlt sich verloren in der Dunkelheit.

Oder in einem anderen Beispiel steht uns ein großer, körperlich überlegender Gegner gegenüber. Wir könnten uns vorstellen ein Schlag von ihm würde uns zerstören. Doch wenn wir den Standpunkt verändern, so kommt uns der Gegner plötzlich unbeweglich vor, durch seine Körpermasse und Muskeln behindert. Unsere Schnelligkeit kann ihn an Verwundbaren stellen treffen, die er kaum schützen kann.

Jin- oder Menschprinzipien

Diese Prinzipien erschaffen um den Ninja herum scheinbar eine veränderte Umwelt, ohne das sich die Umwelt oder der Ninja verändern. Durch Illusionen und Tricks wird nur eine veränderte Situation vorgespielt. Die Prinzipien des in und werden übertrieben, so dass man als Außenstehender die wahren Verhältnisse nicht mehr durchschauen kann.

Diese Taktik nennt man kyojutsu tenkan ho, was soviel wie Lüge und Wahrheit bedeutet. Der Ninja stellt die Wahrheit als Lüge hin, und die Lüge als Wahrheit. So kann der Ninja Stärke zeigen, auch wenn er in Wirklichkeit schwach ist, oder er kann seine Stärke verbergen, wenn er stark ist. Wir können derart übertreiben, dass der Gegner die Täuschung spürt und denkt wir wollten ihn täuschen, auch wenn das in Wirklichkeit nicht der Fall ist.

So konnte ein Ninja im Mittelalter wild schreiend auf die Wache am Tor zulaufen und ihnen von einem Angriff an der anderen Seite der Burg oder von einem Feuer berichten. Die Wachen bewegten sich in diese Richtung und der Ninja konnte die Burg ungehindert verlassen.

Oder er warf einen schweren Stein von der Mauer ins Wasser. Die Wachen konzentrierten sich jetzt auf die Suche am Ufer und der Ninja konnte an anderer Stelle entkommen.

Eine seht effektive Technik für den Nahkampf sein hier noch erwähnt. Wenn der Gegner den Ninja im Nahkampf ergreifen will, so wehrt man sich nicht dagegen, sondern zieht ihn sogar noch zu sich an den Körper. Er wird reaktionsmäßig seine Kraft in die entgegengesetzte Seite bewegen und mit aller Kraft nach hinten ziehen. Das ist der Augenblick, in dem man seine Kraft umkehrt und den Gegner wirft.

Wird man von einem Angreifer verfolgt, so kann man plötzlich abbremsen, dem Gegner einen Haken stellen und in eine andere Richtung fliehen. Oder man springt den Gegner an und klemmt sich mit seinen Beinen hinter dem Rücken fest, lässt sich dann zu Boden fallen und reißt den Gegner mit.

Ein Ninja schreckte auch nicht davor zurück dreckige Tricks anzuwenden. Bei einem Kampf auf Leben und Tod ist es egal, wie ehrvoll man gestorben ist. Ein Ziehen an den Haaren, Plattdrücken der Nase, reißen an den Ohren, Tritt in die Weichteile, Sand in die Augen o. ä. sind nur ein kleiner Teil des Repertoire.

Ein wichtiger Aspekt des Ninjutsu ist in shin tonkei, größtmögliche Wirkung, bei geringstem Aufwand. Der Ninja versuchte immer den natürlichen Lauf der Dinge so wenig wie möglich zu verändern.


Text: Stefan Imhoff